Herausforderungen der Technikphilosophie

Eines der wichtigsten Merkmale unserer Zeit ist die Technisierung vieler Bereiche unseres alltäglichen Lebens. „Das technische Zeitalter“ kann man über unsere Tage sagen hören. Doch, was jene Technisierung kennzeichnet, ist nicht so sehr die Technik selbst, sondern die rasche Entwicklung derjenigen. Als solche ist die Technik nichts Neues, wenn auch die Technik des letzten Jahrhunderts ganz anderer Art, als das, was man vorher kannte. Es gibt sie dennoch mehr als hundert Jahre, vielleicht gab es sie schon immer. Vielleicht ist die Fähigkeit aus der Natur Erkenntnisse zu gewinnen und dann anhand derer etwas zu erfinden, etwas was einen Menschen eigentlich ausmacht.

Wenn man über das technische Zeitalter spricht, ist diese Aussage nicht unbedingt wertneutral. Der zügellose technische Fortschritt hatte zur Folge, dass er viel Aufmerksamkeit in der Gesellschaft auf sich gelenkt hat, worüber man sich auch kaum wundern kann, weil wir heute in so vielerlei Hinsicht auf die Technik angewiesen sind.

Desto interessanter wird es, über die Technik und Technisierung nachzudenken. Was ist sie nun? Ist sie etwas Gutes, was uns weiterbringt und uns mehr Macht über die Natur beschert? Ist sie etwas Schlechtes, was den Menschen jeden Tag immer mehr von ihr abhängig und hilfslos macht?

Ich habe vorher schon angedeutet, dass die Technik auch als etwas genuin Menschliches verstanden werden kann. Dann wäre die Frage nach der Technik einer ganz anderen Dimension zuzuordnen. Es wäre kein bloß moralisches Problem, also ob die Technik gut oder schlecht an sich sein kann, zu welchen Zwecken sie eingesetzt werden darf und ob jeder Zweck das Mittel rechtfertigt; keine Frage der politischen Zugehörigkeit oder der persönlichen Einstellung, ob man bestimmte Technologien befürwortet oder nicht und ob man an den hellen Morgen glaubt oder eher diesbezüglich pessimistisch ist. Es wäre vielmehr eine philosophische Fragestellung, weil es vor allem die Philosophie ist, die nach der Washeit der Dinge und der Möglichkeitsbedingungen fragt: Was ist der Mensch? Was macht einen Menschen aus? Was ist und warum eigentlich Technik, was macht sie möglich?

Die philosophische Natur ist auch aus einer anderen Überlegung einsehbar. Und zwar sind viele Fragen, die mit der Technik verbunden sind, gar nicht durch das technische Denken selbst beantwortbar, sondern bedürfen einer Reflexion, die über das Technische hinausgeht. Selbst wenn jemand behaupten würde, dass die Technik nur aus sich heraus erklärt werden könne und müsse und keine weitere Rechtfertigung oder Würdigung nötig habe, wäre das eine Behautpung, die die Grenzen des Technischen überschreitet.

Im Folgenden will ich andeuten, welche Fragestellungen und Probleme das Eintreten des Technischen in unser Leben mit sich bringt. Mir geht es nicht darum, die Antworten auf bestimmte Fragen zu geben, sondern auf die Spannungsfelder zu verweisen, die sich eröffnen, wenn man über das Technische nachdenkt, und so zu zeigen, dass es sich dabei eigentlich um Philosophie handelt.

Kunst oder Mittel zum Zweck

Zunächst stellt sich die Frage nach dem Wesen und dem Ursprung des Technischen. Unter Technik verstehen wir bestimmte Arten von Menschenwerk, aber was lässt sich über den Status dieses Werks sagen? Hier gibt es zwei entgegengesetzte Extreme: Man kann die Technik als die Folge des menschlichen zweckrationalen Handelns , das heißt als Mittel zu einem bestimmten Zweck, oder als ein Kunstwerk verstehen. Das Verständnis von Technik würde sich dann aus dem zweckrationalen Handeln und der schöpferischen Kraft zusammensetzen, wobei man deren Rolle unterschiedlich gewichten kann.

Was kann der Zweck der Technik sein? Wenn man einen möglichst allgemeinen Zweck nennen will, der auf möglichst viele oder im besten Fall auf alle technischen Erfindungen zutrifft, dann würde ich das Bezwingen der Natur vorschlagen. Die Technik kam in die Welt, um die Bürde der Arbeit leichter zu machen. Man kann vieles schneller und qualitativ besser erledigen, wenn man passende Instrumente zur Hand hat. Es ging natürlich viel weiter, als nur eigenes Überleben auf diese Weise zu sichern. Hier tritt der Begriff Luxus in Erscheinung: Man produziert Gegenstände, die nicht unmittelbar notwendig sind. Es geht dann so weit, dass man im Zusammenhang mit der Marktwirtschaft vom Produzieren der Bedürfnisse spricht.

Kunst kann man in einer gewissen Hinsicht der Zweckrationalität entgegenstellen. So spricht Kant von ästhetischen Urteilen als dem Wohlgefallen ohne alles Interesse1: „Wir können aber diesen Satz, der von vorzüglicher Erheblichkeit ist, nicht besser erläutern, als wenn wir dem reinen uninteressierten Wohlgefallen im Geschmacksurteile dasjenige, was mit Interesse verbunden ist, entgegensetzen […]“2. Bei der Einführung der Technik spricht man oft von einer technischen Erfindung. Nun, wenn man nicht gerade ein ideales Reich der Ideen, wo alle technischen Erfindungen bereits realisiert sind, annimmt3, enthält die Technik eine künstliche Dimension, in der die schöpferische Kraft des Menschen etwas Neues erfindet.

Nun es hat Konsequenzen, ob man die Technik mehr als Mittel zum Zweck oder Kunst versteht. Das Erfinden ist meines Erachtens ein wichtiger Bestandteil dessen, was die menschliche Freiheit konstituiert, und man versucht diesen Bereich heute möglichst wenig zu zensieren, sondern es dem Menschen zu überlassen, sich auf seine eigene Weise auszudrücken. Aber darf man auch im technischen Sinne alles erfinden, was man erfinden kann?

Erhöhung der Lebensqualität oder Zerstörung

Ein Leben ohne technische Geräte im Haushalt ist kaum vorstellbar. Elektrische Geräte, Wasserversorgung, Computer, Telefone gehören zum Alltag. Selbst die allgemeine Zugänglichkeit der Gegenstände, die wir normalerweise nicht als Technik bezeichnen würden, wie zum Beispiel Bücher, verdanken wir dem heutigen Stand der Technik. Nicht anders ist es im beruflichen Umfeld. Auch die moderne Wissenschaft und Forschung sind von Teilchenbeschleunigern und Supercomputern abhängig.

Technische Erfindungen bringen uns Komfort, erhöhen unsere Leistung, ermöglichen neue Arten von Kommunikation. Das hat allerdings auch eine andere Seite. Die Möglichkeiten, die die moderne Entwicklung mit sich bringt, birgt viele Gefahren und versetzt wohl viele Menschen in Schrecken, was aus der zahlreichen Kritik an der Technik zu sehen ist. Man denke nur an den Kalten Krieg oder an die Atomkatastrophen der letzten Jahrzehnte: Tschernobyl und Fukushima, die zu vielen Protesten gegen die Verwendung von Atomenergie geführt haben. Hans Blumenberg spricht in diesem Zusammenhang sogar von der „Dämonie der Technik“4.

Andererseits, wenn man die Entwicklung der Energie verfolgt, so führen Streike und Proteste in der Gesellschaft nicht zu einem Rückschritt, nicht zur Abweisung der Atomenergie, sondern zur Suche nach alternativen Lösungen. Man forscht weiter und schaut, ob man andere Energiequellen finden kann, die die vorhandenen zumindest teilweise ersetzen können, ohne an Leistung zu verlieren. Das heißt, man sehnt sich nicht nach der „Rückkehr zu Natur“, sondern man sucht nach technischen Lösungen für die technischen Probleme. Das kann zu einem Zirkel führen, aus dem man vielleicht nicht rauskommen kann: Die vorhandene Technik motiviert zu Entwicklung anderer Alternativen, die mit der Zeit wiederum Schwächen aufweisen, die wieder technisch ausgeglichen werden müssen und so weiter. Ich denke, man hofft irgendwann ans Ende zu kommen und eine perfekte Lösung zu finden, die keine beweinenswerten „Nebeneffekte“ hat. Die Frage, die der Mensch sich heute zu stellen hat, ist natürlich: Wird es denn irgendwann so sein? Oder ist es nur ein Selbstbetrug und eitle Hoffnung? Die Antwort, die jeder Mensch auf diese Frage gibt, ist von entscheidender Bedeutung für das Verhältnis des Menschen zur Natur. Und die Frage selbst ist kaum eine wissenschaftliche Frage, sondern vielmehr eine ethische und philosophische.

Interessant ist, welche radikale Stellung Günter Ropohl nimmt. Er schreibt über ein anderes modernes Problem, das in dem Verhältnis des Menschen und der Technik und Natur ihren Ursprung hat: das ökologische Problem. Er sieht die Lösung, wie ich oben beschrieben habe, in der weiteren technischen Entwicklung, die nicht nur zu einer Ausbeutung der Natur für die Menschenzwecke führt, sondern die Natur unter Schutz mit Hilfe der Technik nimmt, ganz in dem Sinne des Gartens Eden, den der erste Mensch zu pflegen und zu schützen gehabt habe, und schreibt Folgendes:

Wenn die Gattung Mensch die nunmehr gebotene ökotechnologische Wende nicht vollzieht, wird sie gemäß ökologischen Prinzipien über kurz oder lang eliminiert werden; dann und nur dann wird es wieder Natur geben. Wenn jedoch die Menschen die Hege und Pflege des irdischen Ökosystems mit der erforderlichen Konsequenz vervollkommen, so bedeutet dies nicht mehr und nicht weniger als das Ende der Natur.5

Befreieung oder Versklavung

Der Satz im vorherigen Abschnitt, dass die Technik die Entwicklung weiterer Technik motivieren kann, hat eine interessante Struktur. Die Technik wird hier personifiziert, einem unbelebten Gegenstand, einer unbelebten Struktur wird aktives Handeln zugeschrieben. Kann ein Messer oder ein Handy handeln? Aber das ist eben das, was wir in der letzten Zeit beobachten. Die Technik hat eine gewisse Autonomie, Eigentendenz.

Die Technik hat schon im Laufe ihrer gesamten Geschichte geholfen, den Menschen von schwerer Arbeit zu befreien, dem Menschen ein würdiges Dasein zu gewährleisten. Die Folgen davon kann man in heutiger Zeit gut beobachten. In den entwickelten Ländern müssen relativ wenige Mensche schwere Arbeiten ausführen, vieles kann von Maschinen teilweise oder vollständig übernommen werden. Und selbst, wenn die Maschine von mehreren Menschen gesteuert werden muss, ist eine ganze andere Art der Arbeit, als die Tätigkeit selbst auszuführen.

Kann man das aber nicht so hinstellen, dass während der Mensch von schwerer Arbeit befreit wird, er von seinem Befreier abhängig wird? Und das ist nicht nur in dem Sinne, dass wir Instrumente verwenden, die unser Leben erleichtern, dass wir gewissermaßen unserer Freiheit beraubt werden. Moderne Gesellschaft kennt neue Arten von Sucht, wie zum Beispiel Spielsucht. Man hört Beschwerden über die jungen Leute, die die ganze Zeit nur in ihr Handy starren, und keinerlei „reale“ Kontakte mehr haben (wobei ich mich einer Meinung enthalten möchte, ob solche Beschwerden gerechtfertigt sind). Aber selbst, wenn man von der individuellen Ebene absieht, schreibt Hans Blumenberg über „eine spezifische Eigengesetzlichkeit“ eines Machtmittels wie Atomkraft6: „So wie das technische Gebrauchsprodukt Bedarf zu erzeugen vermag, so schafft das technische Machtmittel mit eigenartiger Automatie auslösende Situationen.“7

Hier stellt sich die Frage, ob ein Messer tatsächlich einen neutralen ethischen Wert hat, und es nur auf den Menschen ankommt der ihn verwendet, ob er damit nur das Brot schneidet oder noch für andere Zwecke einsetzt, oder ob ein Messer einen immanenten Wert hat, der zu dessen Benutzung nicht nur für gute Zwecke herausfordert.

Gleichheit oder Zerspaltung

Ein weiteres von der Technik verfolgtes Ziel ist, die Kluft zwischen sozialen Schichten der Gesellschaft geringer zu machen. Technische Mittel ermöglichen es, verschiedene Artefakte für alle Menschen zugänglich zu machen. Zum Beispiel der Buchdruck hat dazu geführt, dass die Produktionskosten von Büchern stark gesunken sind, und viel mehr Menschen sich den Kauf von Büchern erlauben konnten.

Das Beispiel der Bücher ist auch geeignet, wenn man die Bücher als Informationsquelle betrachtet und zur heutigen digitalen Informationsvermittlung kommt. Man könnte denken, dass, wenn die Mehrheit der Bevölkerung einen Internetzugang und einen Computer hat, es allen den gleichen Zugang zu den Informationen automatisch ermöglichen würde.

Dem kann man entgegenbringen, dass die Quantität noch nichts über die Qualität sagt, denn ein Internetzugang noch nichts darüber sagt, wie er genutzt wird. Da die Nutzung der digitalen Medien immer mehr an Bedeutung gewinnt, zum Beispiel, in der Schule und am Arbeitsplatz, kommt es dazu, dass einige gesellschaftliche Gruppen noch weiter voran kommen, weil sie mit entsprechenden technischen Mitteln umgehen können, die anderen darauf nicht zugreifen. So wird die Kluft nicht kleiner, sondern im Gegensatz größer. Dieses Phänomen ist keine Spekulation, sondern wurde durch Studien bereits vor etwa 20 Jahren entdeckt und immer wieder bestätigt. Es hat den Namen „digitale Spaltung“ (Digital divide) bekommen.8

Schlussbemerkung

Mit diesen wenigen Beispielen habe ich zu zeigen versucht, dass die technische Entwicklung unserer Zeit sehr schwer nur mit einem „Gut“ oder „Schlecht“ bewertet werden kann. Es stehen immer komplexe Fragen im Hintergrund, die zwei Seiten haben und wo die goldne Mitte nicht unbedingt einfach zu finden ist.

Viele Probleme, die direkt oder nur indirekt von der Wissenschaft und Technik verursacht wurden, sind gar keine wissenschaftliche und noch weniger technische Fragen, sondern sie berühren solche Bereiche wie die der Ethik, der Verantwortung und des menschlichen Selbstverständnisses. Sie haben auch eher wenig Bedeutung für die Wissenschaft oder Technik, dafür aber für die menschliche Existenz, sowohl auf der individuellen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene.

Das ist der Grund, warum ich denke, dass eine philosophische Reflexion im Bereich der Technik unentbehrlich ist. Ich denke, es ist verantwortungslos, alles dem natürlichen Lauf der Dinge zu überlassen, ohne sich zumindest zu fragen, warum es so geschieht, welche Konsequenzen es haben kann und ob man in einer bestimmten Lage etwas unternehmen soll oder kann. Wieder wäre es äußerst wichtig, dass eine solche philosophische Reflexion die moderne Entwicklung nicht bloß dämonisiert oder glorifiziert, sondern möglichst gerecht und ausgeglichen verläuft, weil sie nur so ernst genommen werden kann, was nicht zu vernachlässigen ist, wenn die Technikkritik nicht in der Luft hängen oder nur deskriptiv bleiben will, sondern auch etwas aktiv für die Zukunft bewirken will.

So wäre es eine wichtige Aufgabe für eine Philosophie der Technik an Schule und Hochschule, den zukünftigen Ingenieuren und Technikern zeigen zu können, wie Grundlagenforschung, angewandte Forschung und Praxis zusammenhängen, welche Rolle die Arbeit, die Praxis, die gestaltete Technik, die Muße und die Kunst bei der Konstitution unseres Selbstverständnisses spielen.9

Blumenberg, Hans, Schriften zur Technik; herausgegeben von Alexander Schmitz und Bernd Stiegler. Berlin 2015.
Filipović, Alexander, Ungleichheit in der vernetzten Gesellschaft: Der Zusammenhang von Internetnutzung und sozialer Ungleichheit in medienethischer Perspektive, in: Marlis Prinzing u. a. (Hgg.), Neuvermessung der Medienethik: Bilanz, Themen und Herausforderungen seit 2000. Weinheim; Basel 2015, 206–221.
Kant, Immanuel, Kritik der Urteilskraft, in: Heiner F. Klemme (Hg.), Die drei Kritiken: Kritik der reinen Vernunft. Kritik der praktischen Vernunft. Kritik der Urteilskraft. Hamburg 2003.
Kornwachs, Klaus, Philosophie der Technik: Eine Einführung. München 2013.
Ropohl, Günter, Technologische Aufklärung: Beiträge zur Technikphilosophie. Frankfurt am Main 1991.

  1. Vgl. I. Kant, Kritik der Urteilskraft, in: H.F. Klemme (Hg.), Die drei Kritiken: Kritik der reinen Vernunft. Kritik der praktischen Vernunft. Kritik der Urteilskraft, Hamburg 2003, 49.↩︎

  2. Ebd. 50.↩︎

  3. Vgl. G. Ropohl, Technologische Aufklärung: Beiträge zur Technikphilosophie, Frankfurt am Main 1991, 59f.↩︎

  4. Vgl. H. Blumenberg, Schriften zur Technik, hg. von A. Schmitz und B. Stiegler, Berlin 2015, 11.↩︎

  5. Ropohl, Technologische Aufklärung, 71.↩︎

  6. Vgl. Blumenberg, Schriften zur Technik, 13.↩︎

  7. Ebd.↩︎

  8. Vgl. A. Filipović, Ungleichheit in der vernetzten Gesellschaft: Der Zusammenhang von Internetnutzung und sozialer Ungleichheit in medienethischer Perspektive, in: M. Prinzing u. a. (Hgg.), Neuvermessung der Medienethik: Bilanz, Themen und Herausforderungen seit 2000, Weinheim; Basel 2015, 206–221, 206–221.↩︎

  9. K. Kornwachs, Philosophie der Technik: Eine Einführung, München 2013, 105.↩︎